Drei Jahre nach dem Wahlversprechen der schwarz-gelben Koalition, die Pflegeversicherung zu reformieren, wurde das Pflege-Neuausrichtungsgesetz am 29.06.12 im Bundestag beschlossen. Die Meinungen sind eindeutig: Nach der Reform ist vor der Reform, titelt der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK), ein unzureichendes Stückwerk kritisiert der Paritätische Gesamtverband, der „Pflege-Bahr“ wird seinen Platz im Kuriositätenkabinett der Zeitgeschichte finden, so ver.di. Die zweite Reform nach Einführung der Pflegeversicherung 1995 werde den pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen nicht gerecht, so Claudia Pohl, Referentin des DBfK. Wie sieht er aus der so genannte „Pflege-Bahr“ und was wird sich verbessern? Hier die wichtigsten Fakten:
Finanzielle Veränderungen:
- Der Beitragssatz der Pflegeversicherung wird ab Januar 2013 um 0,1% angehoben.
- Wer eine private Pflegezusatzversicherung abschließt, erhält eine staatliche Förderung. Konträr zur privaten Krankenversicherung dürfen Unternehmen, Antragsteller aufgrund gesundheitlicher Risiken nicht ablehnen.
- In der ambulanten Versorgung wird es für die Pflegestufe 0 künftig neben den 100 bzw. 200 € für Betreuungsleistungen auch ein Pflegegeld oder Pflegesachleistungen (120-225 €) geben. In den Stufen 1 (70 – 215 €) und 2 (85 – 150 €) werden die Beträge aufgestockt.
- Für Wohnraumanpassungen kann die Förderung von 2.557€ bis zu vier mal bewilligt danach also bis zu 10.228€ ausgeschüttet werden. Dies ist dann möglich, wenn mehrere Pflegebedürftige zusammenwohnen.
- Kommt die Pflegekasse der Begutachtung nicht innerhalb von vier Wochen nach und kann auch keinen externen Gutachter bestellen, erhält der Pflegebedürftige für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung 70€.
- Nehmen Angehörige die Möglichkeit einer Kurzzeit- oder Verhinderungspflege in Anspruch, wird das Pflegegeld künftig zur Hälfte weitergezahlt.
Verbesserte Rahmenbedingungen:
- Das Recht des Versicherten auf eine Pflegeberatung, besteht bereits seit 2009. Nun wurden die Pflegekassen aber dazu verpflichtet, dem Antragsteller binnen zwei Wochen, eine Beratung zu gewährleisten. Sollte die Pflegekasse die Leistung selbständig nicht erbringen können, muss sie einen Beratungsgutschein ausstellen und einen qualifizierten Dienstleister zur Verfügung stellen.
- Pflegebedürftige erhalten automatisch eine Auskunft darüber, ob die Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme angezeigt ist.
- Neben den bisherigen verrichtungsbezogenen Leistungsansprüchen können künftig auch Zeitvolumen für die Pflege beansprucht werden.
- Die Zusammenarbeit von Ärzten und Pflegepersonal soll durch mehr Vereinbarungen verbessert werden.
Zusätzliche Betreuungsangebote:
- Das PNG sieht vor, im Rahmen von Modellprojekten Betreuungsdienste zu realisieren, die neben der pflegerischen Versorgung oder hauswirtschaftlichen Versorgung, gezielt reine Betreuungsleistungen anbieten können. Pflegebedürftige können diese beispielsweise in Form von Sachleistungen beanspruchen.
- Zusätzliche Betreuungskräfte werden nun auch in der Teilzeit- und Nachtpflege von der Pflegeversicherung finanziert.
Was bleib auf der Strecke?
Mit dem PNG wurden einige Probleme in der derzeitigen Versorgung von Pflegebedürftigen ins Auge gefasst. Leider handelt es sich bei den Maßnahmen mehr um kleine Korrekturen statt um wirkliche Reformen. Eine tatsächliche Neuausrichtung der Leistung fand weder für Pflegebedürftige noch für Pflegende statt. Die lange geforderte Erweiterung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist ebenso in die nächste Legislaturperiode verschoben worden, wie eine Verbesserung der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in der Pflege. Stattdessen werden knapp 80 Millionen € zusätzlich in die niedergelassene Ärzteschaft für Heimbesuche investiert. Pflegekräfte hingegen sollen Einbußen bei der Vergütung hinnehmen, denn statt der ortsüblichen Vergütung kann künftig der Mindestlohn herangezogen werden. Die Politik unterstützt damit den Einsatz von Hilfskräften und hat dem Fachkräftemangel nichts entgegenzusetzen. Auch einer Festlegung von Zuständigkeiten der Pflegekräfte in Abgrenzung zu Ärzten bleibt das PNG geschuldet. Pflegekräften wird damit auch in der Zukunft ein transparenter Verantwortungsbereich abgesprochen, der in der Konsequenz somit auch nicht entsprechend vergütet werden muss.
Abschliessende Betrachtung:
In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag bezeichnete Herr Bahr die Kritikflut zum PNG als billige Polemik. Aus Sicht von Herrn Bahr, der wahrscheinlich niemals ein Pflegeheim von innen gesehen, geschweige denn in der Pflege gerbeitet oder selbst einen Pflegebedürftigen im familiären Umfeld versorgt hat, mag diese Einschätzung wohl stimmen. Für den normalen Sterblichen hingegen, der auf die gesetzlichen Veränderungen angewiesen ist, ist das Reförmchen eine schallende Ohrfeige. Herr Bahr folgt damit Herrn Rößler, der 2011 als das Jahr der Pflege zwar ausgerufen hat, es aber schlichtweg bei einem Lippenbekenntnis belassen hat. Es bleibt abzuwarten welche Wahlversprechen im nächsten Jahr postuliert und dann nur rudimentär umgesetzt werden.
Ausführliche Informationen finden Sie auf der Seite des Bundesministerium für Gesundheit.